Sunday, July 28, 2013

Auf und ab am Königsweg



Ja, bald sind wir am Ziel angelangt. Zwei Stopps liegen noch vor uns bevor wir Wien erreichen: Warschau und Krakau. In Warschau fahren wir, begleitet von Sonnenschein und blauen Himmel, um 8.40 Uhr ein. Es war eine kurze Nacht, da wir von polnischen und weißrussischen Zollbeamten aus unseren bequemen Zugbetten herausgeklopft wurden. Dementsprechend müde waren wir. Aber wer vergeudet denn seine Zeit mit Schlafen? Nach einem kurzen Orientierungsversuch im Inneren des Bahnhofsgebäudes – das übrigens einem Österreichischen sehr, sehr ähnelt – entschieden wir uns, es draußen zu versuchen.

Irgendwas mussten wir doch erkennen, schließlich waren wir ja schon mal in Warschau (im tiefsten Winter des Jahres 2008). Kaum herausgekommen, erkannten wir auch etwas: den Kultur- und Wissenschaftspalast in seiner vollen Pracht. Nur, irgendwie erinnert mich das Gebäude an was – abgesehen davon, dass wir das Gebäude schon 2008 gesehen haben. An was denn nur? Es sieht doch den Sieben Schwestern, die in Moskau zu finden sind, ähnlich, oder etwa nicht? 



Wir nutzen das Service, das wir bisher in fast keiner Stadt in der Form, wie wir es gewohnt sind, gefunden haben:  Eine englischsprachige mit Stadtplänen und kleinen Stadtführern gut ausgestattete Touristeninfo. Und schon stecke ich sechs, sieben Prospekte, die einladende Namen wie „Warsaw for Weekend“, „Warschau für Wissbegierige“, „Warschau Königsweg“, „Warschau fürs Wochenende“ (zur Sicherheit auf Deutsch) und „Warschau Altstadt, Neustadt“ hatten, ein  und erfrage mir das beste Frühstückslokal in der unmittelbaren Nähe. Und schon geht es los. Gestärkt suchten wir unsere Unterkunft auf, ein kleines Zimmerchen sehr zentral gelegen (http://www.booking.com/hotel/pl/the-storys-apartment-hoza-59.en.html). Ratet mal was wir als Erstes gemacht haben? Richtig, wir haben gecacht. Nur wenige Schritte von der Unterkunft entfernt, gab es schon drei Caches. Wir konnten nicht anders. Nach einem sehr guten polnischen Mittagessen ging es in die Altstadt. Am Weg fanden wir zufällig ein, zwei Caches. 




Einer der ersten Caches führte uns zum Fotoplastikon. Es ist das älteste an seinem Originalplatz bestehende Kaiserpanorama der Welt  und anschließend ging es gleich nochmal zum Kultur- und Wissenschaftspalast. Eines der Stadtführer lieferte uns dann auch die Antwort auf die Frage, die sich uns beim 1. Anblick des Gebäudes aufgedrängt hat.  Das Gebäude, das höchste in  Warschau, ist ein Geschenk von Stalin, eine Gabe der sowjetischen Nation für die Polnische. Jetzt ist alles klar, nicht wahr? 

Weiter ging es zum Platz der drei Kreuze und vorbei an den unzähligen Boutiquen und Cafés. Eine kurze Pause legten wir beim Fryderyk-Chopin Museum ein und setzten uns auf eines der Multimedia Bänke, die Melodien des berühmten Komponisten von sich geben.



Durch die Querstraßen schlendernd kamen wir dann endlich zum berühmten Königsweg. Plötzlich gab es im Reiseführer zu jedem zweiten Gebäude etwas nachzulesen. Zum Nikolaus-Kopernikus-Denkmal, einem der bekanntesten Astronomen der ganzen Welt. In einem polnischen Sprichwort heißt es, er hätte „die Sonne angehalten und die Welt in Bewegung gesetzt“.  
 
Königsweg
Kopernikus Denkmal
 Zur Heilig-Kreuz Basilika, in der in den Pfeilern der Kirche die Urnen von Chopin und dem Nobelpreisträger Reymont eingemauert sind. Zur Warschauer Universität, der ältesten in Warschau und heute bedeutendsten polnischen Hochschule. Zum Pilsudski Platz, an dem sich das Grab des Unbekannten Soldaten und das Kreuz zum Gedenken an den Besuch des seligen Johannes Paul II befinden. Usw. 

Grab des Unbekanntes Soldaten
Ogrod Saski - Sächsischer Garten; 1727 als erster Park in Warschau für die Öffentlichkeit geöffnet
Und auf einmal standen wir beim Königsschloss und der Sigmundsäule. Das Schloss wurde im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört und später wieder aufgebaut. Heute ist es ein Museum, das Werke von Rembrandt und Bellotto beheimatet.   

Königsschloss, Sigmundsäule
Wir sind bereits einige Stunden gegangen, haben einige Kilometer hinter uns gelassen. Trotzdem wir können jetzt nicht aufhören, oder? Die Warschauer Altstadt ist doch DIE Sehenswürdigkeit in Warschau. Etwas besonderes, wie die Einheimischen sagen! Im zweiten Weltkrieg zu fast 90 % zerstört, wurde sie so schön wieder aufgebaut, dass UNESCO nicht anders konnte sie in die Welterbeliste aufzunehmen. Es ist als ob uns die Altstadt mit all den zu bestaunenden Gebäuden und der besonderen Atmosphäre magisch anziehen würde. Wir geben nach und schreiten durch das seitlich neben der Kathedrale stehende Tor zum Platz der Kanoniker. In der Mitte des von Touristen wenig besuchten, dreieckigen Platzes steht eine mächtige Erzglocke, die nie in einer Kirche gehangen hat. Es heißt, dreimal um sie herumzugehen bringe Glück…und mache schwindelig. :-D 

  
Schmalste Hause in Warschau
Außerdem befindet sich am Kanonia-Platz das schmalste Haus in Warschau. Zum Platz hin ist es gerade so breit wie ein Fenster, zur Weichsel hin schon wesentlich breiter (heutzutage nennt man diesen Trick „Steuerhinterziehung). Von dort aus zieht es uns natürlich auf die andere Seite, um das Haus von der Weichsel Seite zu betrachten und natürlich, um die Weichsel in ihrer vollen Pracht zu bewundern. Und wir stellen fest, dass genauer dieser Platz einst, im 18. Jh., eine Müllhalde war. Gut das davon weder was zu sehen noch was zu riechen ist.


Hinten herum, den Touristenmengen entfliehend, schlendern wir auf die Steintreppe zu, die angeblich auch von charismatischen Napoleon begangen wurde. Und schon haben wir die Grenze zur Neustadt passiert. Links von uns sehen wir die Festungsmauern, rechts von uns erstreckt sich der Hit des Sommers: der multimediale Springbrunnenpark, wo 367 Düsen gleichzeitig ganze 30.000 Liter Wasser pro Minute spucken. Zudem werden die Wasserstrahlen von 300 Reflektoren bunt beleuchtet und zu bestimmten Zeiten gibt es noch als Bonus Laseranimationen. Diese bestimmten Zeiten sind Mai bis September an allen Frei- und Samstagen. Kinder spielen mit und um die Strahlen, Eltern genießen ein paar kinderlose Minuten  auf der Bank. Wir klettern die Treppen hinauf zu einer der ältesten Kirchen in Warschau: Kirche Mariä Heimsuchung. Neben der Kirche findet man eine Aussichtsterrasse, von der man dem bunten Treiben am Springbrunnpark  zusehen kann.

Mariä Heimsuchung

St. Kasimir Kirche
Fast gleich neben an steht die St. Kasimir Kirche, die während des Warschauer Aufstandes 1944 als Krankenhaus und Unterschlupf diente. Nur wenige Meter entfernt, befindet sich das einstige Zentrum der Neustadt: der Neustadtmarkt. Die Neustadt war vom 14. bis zum 18. Jh. eine selbstständige Stadt, mit eigener Verwaltung, eigener Kirche, eigenem Rathaus. Aus der damaligen Zeit blieb nur ein Brunnen aus dem 19. Jh.  stehen, der von einer Jungfrau mit Einhorn als Wappen geschmückt ist. Von dort brachten uns unsere Beine zu einem besonderen Ort, nämlich zum Geburtshaus der berühmten Wissenschaftlerin Maria Sklodowska-Curie. Im Haus ist das weltweit einzige biografische Museum untergebracht, das so manches Schmuckstück in sich birgt (z. B. die Ledertasche, in der die Vereinigung der polnischen Frauen von Amerika ihr das Geld für die Eröffnung eines Radiuminstituts in Polen übergab). 
 
Marie Curie Geburtshaus
Paulinerkirche rechts im Bild

Auf dem Weg in die Altstadt spazieren wir dann noch an der Paulinerkirche vorbei, an der das kleinste Gebäude von Warschau angrenzt. Und schon sind wir an den Festungsmauern, deren Tore in die Altstadt Einlass gewähren. 



Wir schlendern am Historischen Museum der Hauptstadt und dem Adam-Mickiewicz-Literaturmuseum vorbei, aber stehen bleiben tun wir nicht. Irgendwie zieht es uns weiter  in die Mitte, ins Zentrum, zum Altstadtmarkt und zum Denkmal - der Warschauer Meerjungfrau. Der Altstadtmarkt hält was er verspricht: seine Ecken und Fassaden sind die malerischsten der Stadt. Interessant ist, dass sich seine Gestalt seit der Stadtgründung, Wende 13. zum 14. Jh., nicht verändert hat. Einst wurden hier Feste und Jahrmärkte veranstaltet, aber auch Hinrichtungen vollstreckt. Gut, dass sich DAS aber verändert hat. Jetzt ist er lebhaft, fröhlich, verführerisch. In der Mitte des Platzes ragt elegant eine Meerjungfrau empor, die seit Jahrhunderten das Wappen von Warschau ist. Was hat es mit diesen Meerjungfrauen in Warschau auf sich? Es gibt ja noch eine direkt an der Weichsel, nicht weit vom Kopernikus Wissenschaftszentrum. Da muss doch bestimmt eine Legende dahinter stecken! Die Kurzversion der Legende lautet: Die Meerjungfrau wurde von einem Fischerjungen und seinen Freunden gerettet und als Dankbarkeit versprach sie, auch sie wird sie beschützen. Seiher verteidigt die Meerjungfrau an zwei Stellen Warschaus, mit Schwert und Schild bewaffnet, die Einwohner der Stadt. 

Warschauer Meerjungfrau am Altstadtmarkt


Nun, wir haben bisher viel gesehen, viel gestaunt und sind vor allem viel gegangen. Wir haben uns eine Pause verdient und suchen den Königsweg entlang ein passendes Lokal. Das keineswegs verebbende Treiben der Stadt beobachten wir von unserem Tisch im Restaurant Skwer aus und beschließen kurzerhand uns auch noch durch die Stadt treiben zu lassen.


So kommt es, dass wir ungeplant noch zur Warschauer Universitätsbibliothek, zum Kopernikus-Wissenschaftszentrum und Planetarium, entlang der Weichsel, nochmal zum Fryderyk-Chopin-Museum und zurück zum Kulturpalast spazieren, bevor wir ziemlich erschöpft ins Bett fallen. Ja, es war ein ereignisreicher Tag. Auf den Nächsten! 

Universitätsbibliothek
Arnold versucht einen Cache zu finden
Kopernikuszentrum bei Abenddämmerung
Der nächste Tag wurde mürrisch begonnen. Die Füße, die Füße taten sooo weh. Aber wieso nur? Wir sind doch schon längere Strecken am Stück gegangen. Lasst euch eines sagen. Das Schuhwerk, das Schuhwerk ist das um und auf für solche ausgedehnten Stadtspaziergänge, wie wir sie gestern gemacht haben. Es hilft aber nix. Blauer Himmel, gedämpfte, fröhliche Stimmen, schnelle Schritte, Denkmäler, sattgrüne Parkanlagen rufen uns noch zur letzten Erkundungstour auf. Kommt und schaut uns an, riefen sie. Viel Zeit ist nicht mehr,  am Nachmittag sitzt ihr schon im Zug nach Krakau.

Und so packen wir unsere Rucksäcke zusammen, hieven sie auf  unsere Rücken und marschieren entschlossen zum Bahnhof, wo wir Tickets kaufen und unser Gepäck verstauen. Gefrühstückt wird im Bank- und Finanzviertel „Nowy Swiat“ in einem der angesagtesten Lokale der Stadt: 6/12 (http://www.612.pl/). 

Und dann hieß es, eine Bim, eine Bim-Haltestelle und eine Trafik oder einen Automaten zu finden. In anderer Reihenfolge natürlich. Wir können die Stadt doch nicht verlassen ohne auf (anderen) Schienen zu fahren. Unsere Ziele sind Sapieha-Palais, Denkmal des Warschauer Aufstandes und das Oberste Gericht. Am Palis, das mal Kaserne, dann Militärkrankenhaus war und jetzt Schul- und Erziehungszentrum für hörgeschädigte Kinder ist, interessierten mich vordergründig die Engel-Pferdchen, vor allem das Grüne davon.

Sapieha Palais
Das Denkmal erinnert an die Helden des Warschauer Aufstandes von 1944, die im ungleichen, 63-tägigen Kampf gegen die Besatzer für ihr Vaterland ihr Leben gaben. Das Denkmal besteht aus zwei Teilen. Der erste zeigt Aufständische, wie sie unter einem Brückenpfeiler hervorkommen, der zweite, wie sie in die Kanäle verschwinden. 



Das Oberste Gericht wirkt einfach. Karyatiden, welche die Tugenden symbolisieren (Glauben, Hoffnung und Liebe) sowie Säulen mit Sprüchen des römischen Rechts. An dieser Stelle befand sich während des Zweiten Weltkrieges eines der Tore zum jüdischen Ghetto. 

Drei Sachen fehlten uns noch, bevor wir uns im schönsten Park Warschaus in der Sonne aalen konnten. Das Denkmal von Jan Kilinski, einem Schuster, der die Bevölkerung während des Kosciuszko-Aufstands anführte und das Denkmal des Kleinen Aufständischen, das an die heldenhaften Kinder erinnert, die während des Warschauer Aufstandes gegen die Besatzer kämpften und die UNESCO Tafel, die bezeugt, dass die Altstadt Weltkulturerbe ist.
Denkmal des Kleinen Aufständischen
In der Parkanlage Lazienki Krolweskie per U-Bahn angekommen, legten wir uns mit Ausblick auf das Belvedere von hinten gleich mal in die Wiese und ließen die Ruhe um uns herum auf uns wirken. Kein Mensch weit und breit. Wieso eigentlich?  Kurze Zeit später war uns alles klar. Es ist verboten in dem Teil des Parks in der Wiese herumzuliegen! Hauptsache wir taten es und es tat gut. 



Erholt schlenderten wir durch das Labyrinth an Wegen und Wiesen zu einem netten, schattigen Gastgarten und genehmigten uns ein durstlöschendes Getränk. Ja, heute sind wir mehr oder weniger gemütlich unterwegs. Aber eine Sache wäre da noch. Wir können Warschau nicht verlassen ohne das Denkmal von Chopin zu besuchen. Im tiefsten Winter 2008 sah das Denkmal nämlich ganz anders aus. 


Zufrieden mit der Ausbeute des Tages erlaubten wir es uns zu „Fuß“ zum Bahnhof zurückzugehen. Wir machten einen kleinen Umweg über das Regierungsviertel, auf der Suche nach dem Restaurant Havelka. Leider vergebens. So stärkten wir uns im Zapiciek (http://www.zapiecek.eu/), einer polnischen Restaurantkette, die polnische Köstlichkeiten wie z. B. Pierogi auftischen. 


Bitte einsteigen! Next stop: Krakow! 




Tuesday, July 9, 2013

Vol. 4 - Moskau

Jedes einzelne Mal bin ich, sobald ich einen Park oder einen Wald betrete, wunschlos glücklich. Alle Schmerzen und Sorgen vergessen. Ich habe mich schon oft gefragt, woher das kommt, wer oder was dafür verantwortlich ist, und ich kam immer auf dieselbe Antwort: Es sind die Bäume. Egal ob es Frühling, Sommer, Herbst oder Winter ist, egal ob es Bäume in den Tropen oder in der Heimat sind, immer und immer wieder haben sie die gleiche Wirkung auf mich. Gut für dich, werdet ihr denken, und dass ist es auch. Bäume sind und bleiben mein Allheilmittel. Die Kastanienbaum-Allee, die die Kalvarienbergstraße säumt, war  auch ein entscheidender  Grund  für mich die Wohnung dort zu kaufen – nur so nebenbei. Nicht das Bäume nur schön (grün) sind, nein sie geben uns Schatten, Früchte, manchmal Zuflucht - für Mensch und Tier, sie verschönern unsere Städte und ermöglichen das Leben, wie wir es leben (fragt sich für wie lange…). Sie sind Zeitzeugen und, wenn Menschen sie nicht – aus welchen Gründen auch immer – abholzen und/oder abfackeln würden, könnten sie erzählen. Sie haben einige Geschichten auf Lager (besser gesagt, in den Wurzeln).  Kurzum, ich finde sie großartig. Meine Bewunderung führt sogar so weit, dass ich, könnte ich es mir aussuchen und würde ich an Wiedergeburt glauben, im nächsten Leben gerne ein Baum wäre. Aber nicht irgendwo, sondern an einem schönen Platz, einem wie z. B. dem Gorky Park in Moskau oder dem Lecievzki Park in Warschau. Und wäre ich ein Baum im Gorky Park, so wäre ich eine 150-jährige Linde und könnte euch folgende Geschichte erzählen:


Die Geschichte, die ich euch erzählen möchte, ereignete sich am 15.6. In den Abendstunden, so ca. 20 Uhr, kam ein Pärchen aus Österreich an mir vorbeispaziert. Sie waren auf dem Nachhauseweg, wie sich später herausstellte. Von Bangkok nach Graz mit Zug. Entlang ihrer Reise haben schon viele Parkanlagen gesehen, sagten sie, aber so eine wie die schon lange nicht mehr. Sie setzten sich auf die Bank und beobachteten. Sie konnten ihren Augen gar nicht glauben. Offensichtlich werden Parks in ihrer Heimat nicht so ausgiebig genutzt.  Der Park war voll, keine Frage. Es war ja auch Samstagabend. Aber das kurz vor 21 Uhr die Wege und die Promenaden immer noch mit Rollerskatern, Radfahrern, Spaziergängern gesäumt waren, überstieg ihre Vorstellungskraft. Dazu kam noch, dass es draußen so hell war wie bei ihnen zu Hause um 18 Uhr, d. h. die Sonne stand für ihre Verhältnisse noch relativ hoch. Sie saßen auf der Parkbank und ließen den Abend zuvor, ihren Ankunftstag in Moskau, Revue passieren. Ich lauschte, wie ich es immer tue, seit 150 Jahren. 


Sie kamen am Freitag mit der Trans-Machurian an einem der acht Bahnhöfen in Moskau an. Welch eine Freude! Endlich ein wenig die Beine vertreten. Um Moskau in vollen Zügen genießen zu können, besorgten sie sich sofort Tickets für ihre Weiterfahrt nach Warschau. Hab von diesem Ort schon hie und da was gehört…  Das Kaufen der Tickets war gar nicht so schlimm, wie sie es sich gedacht haben. Es hat sie zwar niemand verstanden, da die älteren Russen leider kein Englisch sprechen, aber mit Handzeichen ging das eigentlich ganz gut. Abgesehen davon spricht die Frau Kroatisch und  hat mal Kyrillisch schreiben und vor allem lesen können, d. h. sie war in der Lage die wichtigsten Dinge irgendwie von ihren „slawischen“ Kenntnissen abzuleiten. Eine größere Herausforderung jedoch war das Organisieren bzw. das Finden eines Transportmittels zum Hotel. Das Hotel war, wie der Mann erst am Bahnhof selbst mit großem Frust feststelle, etwas außerhalb der Inneren Stadt entfernt. Abgesehen davon, dass weit und breit keine Touristeninfo zu sehen war, war die Stadtkarte, die sie hatten, nur auf Kyrillisch. Auch die U-Bahnen und  Buslinien waren zu unübersichtlich, vor allem ohne Orientierung. Müde von der Reise, hungrig nach Nahrung und Dusche beschlossen sie ein Taxi zu nehmen. Nur, sie waren nicht mehr in China, wo man laut ihnen Taximeter verwendet, oder in Vietnam, Kambodscha oder Thailand, wo die Taxifahrten sehr günstig sind. So kam es auch, dass der freundliche Russe sie in atemberaubender Geschwindigkeit und sehr „elegantem“ Fahrstill zum 7km entlegenen Hotel Slavia brachte. Um schlappe 1500 Rubel. Der Taxifahrer wollte 2.000. Das Hotel war nett, sagen sie, aber sie wollen die Innenstadt vom Anfang bis Ende abgehen und erkunden – so war der Plan. Sie mussten sich was anderes überlegen und taten es auch. Gestärkt und geduscht wurde ein wirklich nettes Hostel  namens Dom (Heim) gebucht und die übrigen Nächte im Slavia Maxima storniert. Man muss wissen, dass die Hotels in Russland sehr teuer sind und will man eine gute, schöne und vor allem leistbare Unterkunft muss man ein wenig Zeit investieren. Wie sich herausstellte, war es eine gute Investition. Am nächsten Tag machten sie sich mit Bus und U-Bahn auf den Weg zum Hostel. Um gewaltige 150 Rubel. Sie staunten nicht schlecht als sie die U-Bahn Stationen gesehen haben. Zu Recht sind diese weltweit bekannt, meinen sie. Stimmt, ich hab den Bau ja mit eigenen Astaugen gesehen.




Im Hostel wurde das Gepäck abgeladen und sofort zum Treffpunkt der Gratis Stadttour (http://moscowfreetour.com/) spaziert. Obwohl die Tour gratis war, und man von gratis „Sachen“ ja in der Regel nicht viel zu erwarten hat, waren sie voll auf begeistert. Die kleine, quirlige und ironische Irina, die ihre Stadt und ihr Land – trotz politischer Diskrepanzen – liebt, war eine Wucht und zog sie in ihren Bann. Sie hangen an ihren Lippen. So erfuhren sie z. B. dass die meisten Kirchen in Moskau von Händlern erbaut wurden. Die Legende besagt:  Je größer die Sünde, desto größer die Kirche. Demnach musste Ivan der Schreckliche, der die Basilius Kathedrale, die am südlichen Ende des Roten Platzes steht, erbauen ließ, einen regelrechten Sündenberg  angehäuft haben. Eine weitere Legende besagt auch, dass er den Architekten (Postnik Jakowlew) der Basilika, die nun ein Museum ist, erblinden ließ, damit er ja nicht auf die Idee kommen konnte eine ähnliche woanders aufzustellen. Natürlich ein Blödsinn, aber irgendwo nachvollziehbar. 


Weiters wurde ihnen erklärt, dass die Bezeichnung Roter Platz keinen Bezug auf den Kommunismus in Russland hat, so wie viele denken. Der Name stammt  schon aus dem 17. Jhd. und bedeutet eigentlich „Schöner Platz“. Das russische Wort „krasny“ bedeutet  schön und rot. Der Rote Platz ist ein Ort, wo man durchaus länger verweilen kann und soll (vorausgesetzt es ist warm), da es wahrhaftig einiges zu bestaunen gibt. Zum einen ist da der Kreml, dessen Größe man von dem Standpunkt aus nur erahnen kann und der Spassky Tower, der zu den beliebtesten Türmen der Moskauer gilt. Gekrönt durch einen 2 m langen und breiten Stern, spielt die Glocke, die 53 Jahre während der Sowjet Jahre verstummt war,  vier Melodien täglich. Ein paar Meter entfernt liegt das jüngste Gebäude am Roten Platz: das Lenin Mausoleum, welches nur am Vormittag besucht werden kann. Auch Stalin, der die Errichtung des Mausoleums anschaffte, war in diesem Mausoleum beigesetzt. Im Zuge der Entstalinisierung wurde der Leichnam Stalins entfernt und hinter dem Mausoleum begraben. Gegenüber dem Lenin Mausoleum erstreckt sich das Einkaufszentrum GUM, ein ehemaliger Marktplatz und ehemaliges Warenhaus, auf gewaltigen 75.000 m². Man muss keine Leuchte sein, um sich denken zu können, dass es zu den ältesten und schönsten Einkaufshäuser der Welt gehört. Dort war es auch, wo meine zwei Österreicher das erste Glas KVASS getrunken haben. Ein Getränk, das man mit dem westlichen Getränk Coca Cola vergleicht, aber außer der Farbe nichts gemein hat. Kwas, wie es in der dt. Sprache geschrieben wird, ist ein kohlensäurehaltiges Brotgetränk, das aus Wasser, Roggen und Malz gewonnen wird. Getrunken wird es in vielen osteuropäischen Ländern wie Polen, Ukraine sowie Litauen und Lettland. 








Auf der nordwestlichen Seite des Roten Platzes sieht man das Staatliche Historische Museum und das Auferstehungstor, wo es durchaus passieren kann,  den politischen Größen des Landes – Lenin, Stalin und Putin – übe r den Weg zu laufen. Unglaublich, nicht wahr? Sobald man das Tor passiert hat, begegnet man auf der linken Seite einem Herrn namens Georgi Schukow, der 1945 an Stelle Stalins die Siegesparade anführte.  Für seine heldenhaften Taten wurde er mit einem Denkmal vor dem Museum gewürdigt. Schräg gegenüber liegt das Hotel Moskau, das wegen seiner asymmetrischen Fassade hervorsticht.  Hier bietet Irina ihrer Gruppe eine Erklärung, wobei jedem selbst überlassen wurde, ob er diese glaubt oder nicht. Angeblich soll diese ungleiche Fassade aus einem „Kommunikationsproblem“ entstanden sein. Der Architekt des Hotels, an den Namen kann sich die Frau aus Österreich nicht erinnern, soll Stalin vor Baubeginn zwei Pläne gezeigt haben. Ein Plan wies eine klassische, einfache Fassade auf, der andere eine dekorative, verschnörkelte. Stalin soll seine Unterschrift in die Mitte des Schreibens gesetzt haben und da sich niemand getraute nachzufragen, wurde das Hotel mit zwei unterschiedlichen Flügeln bzw. Fassaden gebaut. Ich finde die Erklärung plausibel, ihr nicht?  Eine weitere, aber etwas unglaubwürdigere Geschichte ist die, die den Bau der U-Bahn Linie betrifft. Genauer genommen den Bau der Kreislinie, die im U-Bahn Plan in der Farbe braun eingezeichnet ist. Man erzählt, dass, als die Stadtplaner dem Stalin den U-Bahn Bauplan vorgelegt hätten, er genau auf den Platz wo jetzt die Kreislinie verläuft ein Tasse Kaffee stehen hatte, die einen Rand hinterlassen hat. Die Stadtplaner sind davon ausgegangen, dass ihr Führer auch da eine Linie haben möchte und so entstand die Kreislinie. Falls das stimmt, davon gehe ich aber mal nicht aus, waren die Moskauer (oder sind sie es noch immer) ein Recht gehorsames und loyales Volk. 



Irina führte anschließend ihre an ihren Lippen hängende Gruppe in den Alexandergarten, nordwestlich der Kremlmauer, wo sie vor dem „Grabmal des unbekannten Soldaten“ zu stehen kam und weitere Anekdoten zu Kriegs- und Kommunistenzeiten von sich gab.  Meine zwei Österreicher sind sich einig. Beide meinen, dass die Russen eine lustige Art von Aufarbeitung traumtaischer Erlebnisse haben. Die Stadtführung endete vor dem Eingang zum Kreml und zum Abschluss gab es noch Antworten auf diverse Fragen, weitere Anekdoten, Restaurantempfehlungen usw. Den Kreml kann man, bis auf Donnerstag, dem Vogeljagdtag, jeden Tag besuchen. Vogeljagdtag? Ja, ihr habt euch nicht verlesen. Um den Kreml von Vogelkot sauber zu halten, wird jeden Donnerstag Jagd auf die Vögel gemacht. Was soll man dazu sagen? Es gab eine herzhafte Verabschiedung mit Irina, die noch ganz zum Abschluss eine allgemeine Entschuldigung für alle Russen, die nicht lachen können. Man soll es nicht persönlich nehmen. Russen brauchen einen besonderen Grund um zu lachen. Und damit schwärmten alle davon… 




Meine zwei Herrschaften, die Bäume über alles lieben, machten sich auf den Weg in die bekannte Arbat-Straße, in das Künstlerviertel der Stadt, wo sie im My My (gelesen Muh-Muh) zu Mittag aßen. Wie  passend, meinte Evelin. Es war eine Empfehlung von Irina. Ein Spaziergang durch die lange Fußgängerzone des Stadtteils brachte sie zu einem imposanten Gebäude, dessen Namen sie bis zur Recherche im Internet nicht wussten. Es handelt sich dabei um eine der sieben Schwestern, die heute dem Außenministerium Heimat gewährt. Sieben Schwestern sind Gebäude, die im Auftrag von Stalin – wem sonst  – in Auftrag gegeben wurden und auch unter den Namen Stalinfinger oder Stalin-Kathedralen bekannt sind. Arnold und Evelin haben im Laufe ihres Moskau Aufenthaltes vier von den Schwestern gesehen: das Außenministerium, Apartmentgebäude an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße,  das Hauptgebäude der Lomonossow-Universität und das Haus am Roten Tor. Naja, und nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen kamen sie zum ersten Mal zu mir, in den Gorky Park, „follow the Moskwa, down to Gorky Park“ singend. 







Am nächsten Tag wurde die Stadt auf Rädern erkundet, im Schlepptau hatten sie Scrat. Ihr wisst was das bedeutet? Ich mittlerweile auch. Es wurde gecacht, was nur ging. Entlang der Weichsel, auf und ab, an mir vorbei: Novospassky Kloster, Stalins Apartmentgebäude, Skulpturen Park nähe Gorky Park, Wissenschaftsuniversität, uvm. Am Abend stand eine Kommunistentour am Programm, die von einer anderen quirligen Moskauerin namens Elena geführt wurde. 




Treffpunkt war Lubyanka Platz, von wo man gut den Geschichten über den sowjetischen Geheimdienst unter Stalin lauschen und dabei den Ort der unzähligen Ungerechtigkeiten kopfschüttelnd anschauen konnte. Am Lubyanka Platz selbst befindet sich ein Stein, der aus den Solowezki Inseln nach Moskau gebracht wurde, um den vielen unschuldigen Menschen zu gedenken, die im größten Arbeitslager Russlands ihr Leben ließen. Wie es zum Machtkampf und Machtübernahme von Stalin 1927 kam, braucht man hier nicht nochmal ausführen. Die Methoden sind immer die gleichen, sagt Evelin. Menschen werden brutal ermordet, öffentliche Ämter wie Post, Bank, Schule, Kirchen usw. geschlossen und zerstört, Angst und Schrecken verbreitet. Interessant fanden sie jedoch die Information, dass es von der Moskauer Bevölkerung sehr wohl einen Widerstand gab. Der dauerte sechs Tage, was dabei rausgekommen ist: sie mussten kapitulieren. Im ehemaligen KGB  Gebäude - auf dt. Komitee für Staatssicherheit – ist heute die russische Polizei untergebracht. Wie passend! Ach ja, der russische Präsident Wladimir Putin gehörte einst zum Mitarbeiterstab des KGB. 



Der nächste Halt der Führung war das Metropol Hotel, das eine sehr bewegte Geschichte zu erzählen hat. Einst diente es als Wohngebäude für Politiker von Rang und Namen, dann als Lenins Arbeitsstätte und dann als DIE Adresse für ausländische Gäste. Das Hotel war nämlich das einzige (und teuerste), das Gäste aus dem Ausland beherbergen durfte. D. h. wollte man in den 30ern (oder auch später) nach Moskau/Russland gab es keine andere Möglichkeit als im Hotel Metropol zu nächtigen. In ganz Russland gab es auch nur ein einziges Reisebüro, das Ausländern die Einreise nach Russland genehmigen durfte. Der Name des Reisebüros lautet INTOURIST und ist heute noch als solches tätig (als gewöhnliches Reisebüro). 


Vom  Hotel aus kann man das Bolshoi Theater („Großes Theater“), eines der bekanntesten Schauspielhäuser in Europa, und  das Maly Theater („Kleines Theater“)  sehen. Die Bühnen des Großen Theaters boten den Kommunisten Raum für geheime Treffen, Reden gar  für historische Ereignisse, wie die Gründung der Sowjetunion im Jahr 1922. Die Tafel am rechten Flügel des Gebäudes zeugt davon. 




Wie vielen bekannt ist, war das Reisen während des Kommunismus „Normalsterblichen“ untersagt. Nur wenige Auserwählte hatten dieses Privileg. Zu den Auserwählten zählten die Künstler des Bolshoi Theaters, die manchmal von ihren Auslandsaufenthalten nie in die Heimat zurückkehrten. Nach diesen Reisen, wo die Besatzung des Schauspielhauses oft um die Hälfte schrumpfte, diente das Kleine Theater als Aufführungsstätte.  


Auf der Tour bleibt man an vielen Monumenten und Skulpturen stehen, die von der Ära der Sowjetunion erzählen. Stalin (Mann aus Stahl), der eigentlich gar nicht Stalin hieß, sondern Dzhugashvili, sorgte nicht nur mit seiner Menschensäuberung sondern auch mit seinem Größenwahn dafür, dass er im Gedächtnis der Menschen verankert blieb. So oder so. Denn eine weitere Skurrilität, die unter Stalin passierte, ist die Erweiterung der Hauptstraße von Moskau: Tverskaya. Und wie es dazu kam? Stalin wollte was Großes. Etwas, womit er wirklich in die Geschichte eingehen würde und ließ die einst recht schmale Straße Tverskaya  erweitern. Das heutige Rathaus bewegte man anhand runder Holzstämme 14 m in 41 Minuten nach hinten. Ein Wohnhaus wurde mitten in der Nacht still und heimlich verschoben. Sogar so still, dass die Bewohner des Hauses nichts davon mitbekamen und am nächsten Tag nicht schlecht staunten, als sie „woanders“ aufwachten. Wie das hat gehen können, kann ich leider nicht erklären. Es ist einfach zu unreal und übersteigt meine Vorstellung, aber Arnold und Evelin haben Fotos gesehen, die diese Erweiterung bildhaft darstellen. 


Die beiden Reisenden waren so fasziniert von den Erzählungen Elenas, dass sie fast die Zeit vergaßen. Um 20 Uhr sollten sie bei der Christ-Erlöser-Kathedrale sein, um dort Connie und Damir, Freunde von Jenny und Patrick, zu treffen. Sie kamen ein wenig zu spät, aber Gott sei Dank nicht allzu spät. Connie und Damir, die Moskau-und Russlandexperten, beantworteten bei einem Gläschen Wein/Bier/Cocktail in der Bar Strelka, einer schicken Bar mit Aussicht auf die Kathedrale, alle noch offenen Fragen zu und um Russland und Moskau. Da ein Abend dafür nicht reichte, verabredete man sich gleich für den nächsten Abend im Georgischen Restaurant. Eine neue Welt für die zwei. Die georgische Küche galt als Haute Cuisine der sowjetischen Küche und nach diesem Abend verstanden sie auch warum: Chatschapuri (gebackenes Käsebrot, in div. Varianten), gefüllte Melanzani mit Wallnusssoße, Hähnchen in Wallnusssoße, Schaschlik mit Granatapfelsoße, mit Koriander mariniertes Gemüse, Chinakli (Teigtaschen mit div. Füllungen) usw. 



Der nächste Tag, vor dem Treffen im georgischen Restaurant, war ein Cache- und Shopping-Tag. Auch ein Tag der U-Bahn Stationen-Besichtigung. Ein Muss für jeden Moskau-Besucher. Am Abend kamen die beiden dann wieder an mir vorbeispaziert, da das georgische Lokal nur einige Meter von mir entfernt ist. Ein Zufall oder magische Anziehung?

 Am letzten Tag unserer stummen Sympathie kamen sie vorbei nachdem sie bei schönstem Wetter noch Fotos vom und um den Roten Platz gemacht haben, sie bei der Hauptuniversität (einer der sieben Schwestern) waren und von der Aussichtsplattform auf die Weichsel blickten, um gegen Mittag bei mir – zum letzten Mal – vorbeizugehen und sich im Lieblingscafé von Evelin hinzusetzen. 




Um 16.50 Uhr saßen meine zwei Österreicher im Zug nach Warschau. Ich, froh und glücklich eine weitere (Lebens)Geschichte gehört zu haben und sie, froh und glücklich in Moskau (von seiner besten Seite) gesehen zu haben.

Bald sind sie am Ziel angelangt.